Ausflug in die Eisenzeit

Schleswig, Wiking-Hafen, 04.08.2022, 20:05 Uhr

Es ist schon ein Kontrast zu unserem gestrigen Ankerplatz. Wir liegen am Ende der Schlei am südlichen Ufer der Schleswiger Bucht. Hinter uns rauscht … nein, leider nicht das Meer, sondern der Verkehr auf der B76, dem örtliche Zubringer für alle motorisierten strassenabhängigen Verkehrsteilnehmer zur Autobahn A7. Also wenn ich die Wahl haben zwischen Geplätscher eines Segelbootes das mit 2-7 Knoten durchs Wasser läuft oder den Reifenabroll- und Motorengeräuschen, dann ist der Fall für mich klar. Zumindest haben wir einen netten Hafenmeister und einen guten „Parkplatz“ gefunden. Gut ist in diesem Fall definiert durch kurzen Laufweg zu den sanitären Einrichtungen, zusätzlich liegt der Hafen zwischen den beiden Museen, die wir hier in Schleswig und Umgebung besuchen wollen. Mit den Rädern sind die Museen wie auch das Zentrum von Schleswig, wo diverse Restausrants und Kneipen sind, super gut zu erreichen.[M]

Laut dem Schlei-Boten von gestern waren die letzten beiden Tage schon die zweite Hitze-Episode hier im Norden. Mein tiefempfundenes Mitleid gilt den Lesern im Rheinland und weiter im Süden, die noch höhere Temparaturen noch viel länger und während des Alltags ertragen müssen. Für uns kam es gerade Recht für eine Anker-Nacht. Ich liebe es bei diesen Gelegenheiten unter freiem Himmel zu schlafen! Inzwischen ist die Sommersonnenwende schon lange genug her und wir sind wieder weiter im Süden. Der Mond ist derzeit nur eine schmale Sichel und geht früh wieder unter. Weitab der Städte ist es daher so richtig dunkel und der Sternenhimmel ist echt atemberaubend. Wir konnten sogar die Milchstraße erkennen, ein Anblick den ich schon lange nicht mehr hatte. Beim Einziehen der Badeleiter ist mir dann der Schimmer von luminiszierenden Algen aufgefallen. Das hat auch Michael noch mal aus dem Schlafsack gelockt und wir hatten viel Spass dabei, mit dem dicken Fender Netze aus sanftem Licht auf das Wasser zu zaubern. Was hatte ich gestern noch über spielende Kinder geschrieben??! [T]

Abgelegt bzw. den Anker gehoben haben wir erst gegen 12:30 Uhr. Es war zu schön in der Grossen Breite: Wasser- und Lufttemperatur waren so angenehm, dass ich mich bei meinem Morgenbad an unsere Reise vor acht Jahren in Schweden erinnert fühlte, wo ich, so die Erinnerung, fast jeden Tag, morgens und Abends im Wasser weilte. Vermutlich trügt mich da die Erinnerung ein bisschen, doch war ich sicher mehr baden als diesen Sommer. Aber der Sommer ist ja noch nicht vorüber.

Nach einer kurzen TelCo und ausgiebigem Frühstück hiess es dann „Anker auf!“ und recht bald haben wir auch beide Segel gesetzt um gemütlich durch die Grosse Breite und die Stixwiger Enge auf Schleswig zuzufahren. Wir waren um 14:20 Uhr hier und haben dann direkt die Räder losgetüddelt um noch ausreichend Zeit für Schloss Gottdorf und die Ausstellungen dort zu haben. Eine meiner Kindheitserinnerungen ist, dass wir hier in Schleswig mit meinen Eltern und meinem kleinen (naja, jüngeren) Bruder vor ca. 40 Jahren einen Ausflug von Damp 2000 gemacht haben. Es war in einem der wenigen Urlaube, die sich meine Eltern erlaubt hatten. Manchmal frage ich mich, was mein Vater wohl dazu sagen würde, dass ich solange Zeit in der Weltgeschichte rumtingele … Nachhaltigen Eindruck haben damals die Moorleichen bei mir hinterlassen. Die wollte ich unbedingt noch einmal sehen. Diese sind im Rahmen einer Ausstellung zur Besiedelung der Region um die Schlei zur späten Eiszeit, der Bronzezeit und mit Fokus auf die Eisenzeit im Schloss zu sehen. Unter anderem habe ich gelernt, dass es durch die Zeiten hindurch verschiedene Techniken gab, Fauskeile, Klingen, Pfeilspitzen und andere Werkzeuge aus Flintstein herauszuarbeiten. Faszinierend, dass es Menschen gibt, die tatsächlich aus den Fundstücken heraus klamüsern, was Abfall, was Werkzeug war. Und noch faszinierender: sie setzen die Teile wieder zu einem ganzen Stein zusammen, um herauszufinden mit welcher Technik der Stein bearbeitet wurde. Hunderte, Tausende Splitter. Ich werde ja schon bei einen 20-Teile Puzzle ganz kribbelig und bekomme Fluchgedanken. Mein Respekt gilt heute den Archäologen (m/w/d). Ihrer Geduld, zechnerischen Fähigkeiten und ihrer Vorstellungskraft aus, ja zum Teil tatsächlich Müllhaufen, alte Zeiten und Lebensumstände zu rekonstruieren.[M]

Besonders beeindruckend: Das Boot von Nydam. Zum einen war es richtig gross mit Platz für bis zu 45 Mann, zum anderen wurde es nach aktueller Forschung als Opfergabe in einem See versenkt. Also wohl von einer Gruppe für den Krieg erbaut, und von einer anderen als Dank für einen Sieg geopfert. Oder beides von den gleichen Menschen??? In solchen Momenten frage ich mich immer, was die Nachwelt wohl von uns ausgraben und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind: Gegen 2020 tauchen plötzlich sehr viele Bildnisse und Schilder mit der Darstellung von Köpfen mit einer Gesichtsbedeckung auf. War das ein neuer Kult? Oder eine Mode? Oder waren plötzlich sehr üble Gerüche in der Luft, vor denen sich alle schützen wollten? [T]

Wie das so ist, Museumsbesuch macht Lust auf Kaffee und Kuchen. Dazu wollten wir dann aber in die City, um noch ein bisschen vom Leben und Treiben in Schleswig mitzubekommen. Ein schöner Radweg führt um das Ufer der Bucht durch ein Gelände, das, wie Tanja meinete, aussieht als sei es anlässlich einer Landes- oder Bundesgarten entstanden (Faktencheck Wikipedia: „Im Vorfeld der 2008 auf den Königswiesen durchgeführten Landesgartenschau wurde der Park landschaftsarchitektonisch neu gestaltet.“) zu den anderne Häfen. Vorm Einkehren sind wir jedoch noch zu St. Petri, dem Schleswiger Dom und von dort aus einer Laune heraus noch ein kurzes Stück Richtung Osten gefahren.

Welch ein glücklicher Zufall! Denn aus dem Augenwinkel habe ich ein schmückes Sträßchen gesehen. Trotz Tanjas Einwand „das Café Holm macht um 18 Uhr zu“ sind wir in die Straße rein. An der Ecke war Café Holm; und noch ganz gut besucht. Ein Schild versprach leckeren Kuchen. „30 Minuten haben wir noch“ meinte Tanja. Das sollte für eine schnelle Tasse Kaffee und ein kleines Stück Kuchen reichen. Also kurz gefragt, und dann entspannt in der Sonne sitzen und den selbstgebackenen Kuchen mit Latte Macchiato geniessen. Blick auf den schmucken privaten Friedhof, der keine Besucher haben wollte. Ja, das es so etwas gibt, wusste ich auch nicht. Nur, dass es in den USA wohl auch eine Möglichkeit zum Steuern sparen ist, das habe ich vergangene Tage gelernt. Um den Friedhof, im Kreis angeordnet, war ein schönes Häuschen neben dem anderen, sehr schön anzusehen. Wieder so eine Zufallsentdeckung, die den Tag bereichert.

Übrigens bringt mich nicht nur Tanja dazu, aus meiner Kompfortzone auszubrechen. Die häufige Betreung in der Kinderstube und Begleitung auf Radtouren scheint nachhaltigen Effekt auch auf Ihre Nichten und ihren Einfluss auf mich gehabt zu haben. So wollte die Fügung, dass ich heute am Hafen noch einen „Lillet Wild Berry“ trinken mochte. Den hatte ich zuvor im Vorbeifahren gesehen. Bis zum Besuch von MoMel und unsere gemeinsame Radtour über Norderney kannte ich das Getränk überhaupt nicht. Tja, so haben die beiden mich aus meiner Bierkompfortzobne heraus geholt. Muss man auch erstmal schaffen 😉 [M]

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5 Antworten

  1. Melina sagt:

    Wie passend, während ich das lese trinke ich auch einen Lillet. Das muss Schicksal sein…

  2. Monia sagt:

    Also in jeder Stadt mindestens eine Kirche anzuschauen gehört einfach dazu. Aber Friedhöfe? Seid ihr denn jetzt schon soweit? 😉

    Der Lillet sieht super aus! Wir haben uns gestern auch nach dem Aufbau unseres Zeltes am Bodensee damit belohnt! Lieber Michael, ist er vielleicht sogar besser als ein Alt? 😉

  3. Caro sagt:

    MoMel haben einen guten Geschmack 😉

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